- Kästner: Lebensgeschichte des Publizisten und Pädagogen
- Kästner: Lebensgeschichte des Publizisten und PädagogenErich Kästner stammte aus einem kleinbürgerlichen Elternhaus. Seine Mutter tat alles dafür, dass aus ihrem Jungen etwas Besseres würde. Schule und Lehrerseminar verleideten ihm seinen Wunsch, Lehrer zu werden; er empfand sie als Zuchtstätte für Untertanen, fühlte sich auch zunehmend ungeeignet für den Lehrberuf. Schon während seines Studiums verfasste Kästner als Journalist auch satirische und politische Gedichte und Geschichten. In Berlin tat sich Kästner außer als Journalist vor allem als Essayist, Lyriker, Satiriker, Roman- und Kinderbuchautor hervor, nutzte die Medien Hörfunk und Film und wurde so zu einem der populärsten linksdemokratischen Autoren. Seine Karriere wurde durch die nationalsozialistische Diktatur jäh gestoppt: Er unterlag einem Publikationsverbot und konnte nur unpolitische Bücher im Ausland und seine Bühnenstücke nur unter Pseudonymen veröffentlichen.Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte Kästner in München am literarischen und moralischen Wiederaufbau Deutschlands mitzuwirken und nahm auch zu politischen Fragen Stellung. Er stieg in den 1950er-Jahren zwar wieder zu einem der populärsten deutschen Autoren auf, doch kam er beim Publikum vor allem mit seinen früheren Kinderbüchern und Unterhaltungswerken sowie deren Verfilmungen an; seine sozialkritischen und satirischen Texte wurden kaum beachtet, und Kästner brachte nach Misserfolgen in dieser Richtung auch nicht viel Neues hervor. In den 1960er-Jahren zog er sich krankheitsbedingt vom literarischen und öffentlichen Leben zurück.Elternhaus und SchulzeitErich Kästner kam am 23. Februar 1899 in Dresden zur Welt. Seine Mutter Ida Amalie Kästner, geborene Augustin, (* 1871, ✝ 1951) hatte 1892 den Sattlermeister Emil Richard Kästner (* 1867, ✝ 1957) geheiratet. Er musste 1895 im Zuge der Industrialisierung sein Geschäft im sächsischen Döbeln aufgeben und nahm in einer Dresdner Kofferfabrik eine Arbeit an. Nicht er soll indessen Erich Kästners leiblicher Vater gewesen sein, sondern der Königlich-Preußische Sanitätsrat Emil Zimmermann (* 1864, ✝ 1953), der Hausarzt der Familie war und für Kästners Mutter eher dem Ideal des sozialen Aufstiegs entsprach als ihr zum Arbeiter abgestiegener Ehemann.Die Mutter betrachtete es nun als ihre Lebensaufgabe, ihrem Sohn zum Aufstieg zu verhelfen, und bemühte sich unermüdlich, um ihm die entsprechende Bildung zu ermöglichen. Hatte sie schon zuvor durch Heimarbeit die Haushaltskasse aufgebessert, so bot sie später ihre Dienste als Friseuse an und nahm Untermieter in die Dreizimmerwohnung auf. Es fügte sich, dass alle Untermieter Lehrer waren. So erhielt der Schüler zusätzliche Anregungen zur bürgerlichen Bildung und es erwachte der Wunsch in ihm, selbst Lehrer zu werden. Die Mutter sparte für Klavierstunden und gemeinsame Theaterbesuche. Ihre ungeteilte Liebe und übergroße Fürsorge drohten den Jungen freilich zu erdrücken und den Familienfrieden zu beeinträchtigen. Gleichwohl entstand das Gefühl in ihm, dass Wohl und Wehe seiner Mutter einzig von ihm abhingen und dass er es seiner »vollkommenen Mutter« schuldig war, ein »vollkommener Sohn« zu werden. Dieses Gefühl sollte ihn sein Leben lang nicht verlassen; er blieb als Erwachsener in enger Beziehung zu seinem »Muttchen«, berichtete ihr täglich in Briefen über alle seine Nöte und Erfolge, schickte ihr seine schmutzige Wäsche und überzähliges Geld.Als Schüler erfüllte Kästner die Erwartungen seiner Mutter, war aber enttäuscht über die strengen Lehrer und die rohen Erziehungsmaßnahmen; die Volksschule beschrieb er später als »Kinderkaserne«. Ab 1913 besuchte er das Internat des Freiherrlich von Fletscherschen Lehrer-Seminars, in dem in militärischer Manier gehorsame Untertanen herangezogen wurden. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs war Kästners Kindheit beendet. Ältere Mitschüler mussten Kriegsdienst leisten und für das Vaterland sterben; Lebensmittel wurden knapp, im Winter 1916/17 kam es zu einer Hungersnot. Im Juli 1917 wurde Kästner eingezogen, um in einer Einjährig-Freiwilligen-Kompanie der schweren Artillerie auf den Einsatz an der Front vorbereitet zu werden. Ein Unteroffizier setzte Kästner so schwer zu, dass er mit einer Herzkrankheit ins Lazarett eingeliefert werden musste. Er trug zwar eine Herzschwäche davon, die ihm später bei starkem Stress zu schaffen machte, jedoch hatte er es der Unterbrechung seiner Ausbildung zu verdanken, nicht mehr an die Front zu kommen. Seine Erfahrungen genügten gleichwohl, um aus ihm einen überzeugten Pazifisten zu machen.Als Kästner Anfang 1919 das Lehrerseminar beendete, war ihm bewusst, dass er Neues lernen und nicht Altes lehren, also kein Lehrer werden wollte. In wenigen Monaten bereitete er sich am König-Georg-Gymnasium für das Abitur vor; hier erlebte er im Unterricht erstmals humane Umgangsformen. Das Abitur bestand er mit Auszeichnung und bekam das Goldene Stipendium der Stadt Dresden.Studium und Start als JournalistIm Herbst 1919 begann Kästner in Leipzig sein Studium der Fächer Germanistik, Theaterwissenschaft, Zeitungskunde, Philosophie und Geschichte. Bald zeigte sich besonders sein journalistisches und lyrisches Talent; in der Anthologie »Gedichte Leipziger Studenten« erschienen 1920 seine ersten lyrischen Versuche. Die wachsende Inflation entwertete auch sein ortsgebundenes Stipendium und erlaubte daher einen Wechsel des Studienorts. Nachdem Kästner das Sommersemester 1920 in Rostock verbracht hatte, wechselte er nach Berlin. Das Angebot einer Assistentenstelle veranlasste ihn, im April 1922 nach Leipzig zurückzukehren. Allerdings reichte sein Verdienst längst nicht für den Lebensunterhalt aus, sodass er einen Freitisch beanspruchen und Nebenbeschäftigungen annehmen musste.Eine Glosse über die Inflation, die im »Leipziger Tageblatt« gedruckt wurde, verhalf ihm zum Einstieg als Journalist: Fortan schrieb er als Redakteur für die verlagseigene Illustrierte neben Glossen unterhaltsame Erzählungen und Gedichte. Außerdem lieferte er solche Beiträge sowie Rezensionen an das Feuilleton der linksliberalen »Neuen Leipziger Zeitung«; für andere Zeitschriften verfasste er moralische Geschichten, satirische Gedichte und politische Parodien. Allmählich wurde das Studium zur Nebentätigkeit. Schließlich unterbrach Kästner für vier Monate seine journalistische Tätigkeit, um seine Doktorarbeit über die Reaktionen auf Friedrichs des Großen Pamphlet gegen die deutsche Literatur zu schreiben. Die Gutachter bescheinigten ihm eine ausgezeichnete Leistung und betonten die herausragende sprachliche Darstellung. Als Doktor der Philosophie verließ Kästner im August 1925 die Universität.Als 1926 der Verlag des »Leipziger Tageblatts« die »Neue Leipziger Zeitung« übernahm, wechselte Kästner in die Redaktion der Tageszeitung und wirkte fortan in den Ressorts Feuilleton und Politik. Da Kästner auch seine linksradikalen Meinungen nicht zurückhielt, machte er sich freilich mitunter unbeliebt. Als wegen eines frivolen illustrierten Gedichts ein Skandal angezettelt wurde, legte sein Chef ihm nahe abzutreten. Immerhin konnte Kästner aushandeln, als Korrespondent unter einem Pseudonym publizieren zu dürfen. Im April 1927 verließ er die Redaktion. Da es ihn schon längere Zeit nach Berlin zog und er auch schon Beiträge an Berliner Zeitschriften geschickt hatte, entschloss er sich, dort den Sprung zum freien Autor zu wagen.Publizistische und literarische KarriereIm September 1927 zog Kästner nach Berlin um. Die Kulturmetropole Deutschlands schilderte er in seinen Artikeln für die »Neue Leipziger Zeitung« zunächst mit kritischer Distanz. In seinen zahlreichen Theaterrezensionen bemängelte er die Tendenz zum niveaulosen Amüsement, während avantgardistische Inszenierungen oder Stücke mit sozialkritischem Impetus seinen Beifall fanden. Beiträge lieferte Kästner auch an Berliner Zeitungen wie das »Berliner Tageblatt« und die »Vossische Zeitung«, außerdem an die »Dresdner Neuesten Nachrichten« und das »Prager Tagblatt«. Seine Gedichte veröffentlichte er bevorzugt in der Zeitschrift »Weltbühne«, an der auch Kurt Tucholsky und Arnold Zweig mitwirkten. Kästner machte sich so als linksdemokratischer Publizist bald einen Namen.1928 stellte Kästner für seine »kleine Versfabrik« mit dem Firmennamen »Kästner ' Co.« Elfriede Mechnig als Sekretärin ein, die ihm 45 Jahre als rechte Hand beistand. Kästner verfasste bald auch Beiträge für das »Kabarett der Komiker«, das sein literarisch-politisches Programm allabendlich in dem Haus am Lehniner Platz darbot, in dem sich Kästners Stammcafé Leon befand. Gedichte Kästners vertonte Edmund Nick; die Chansons sang u. a. Trude Hesterberg.Im April 1928 brachte Kästner seine erste Gedichtsammlung »Herz auf Taille« heraus. 1929 folgte »Lärm im Spiegel«, 1930 »Ein Mann gibt Auskunft«, 1932 »Gesang zwischen den Stühlen«. Seine Gedichte verstand er als Gebrauchslyrik, die aktuelle Probleme der Politik und Gesellschaft behandelt und die Leser zur Veränderung ihres Denkens und Handelns bewegen will. Er sah sich darin mit Bertolt Brecht und Joachim Ringelnatz einig. Für die L'art pour l'art mit ihrem schönen Schein hatte Kästner ebenso wenig übrig wie für das Pathos des Expressionismus. Kästners Illusionslosigkeit führte angesichts der Ohnmacht seiner Lyrik und der drohenden totalitären Herrschaft freilich mehr und mehr zur Resignation. Aber immerhin beförderten seine Gedichtbände ihn in die erste Liga linksdemokratischer Lyriker.Seine größten Erfolge erzielte Kästner indessen als Kinderbuchautor. Edith Jacobsohn, Witwe des Gründers und Verlegers der »Weltbühne« und Inhaberin des Kinderbuchverlags Williams ' Co., hatte Kästner dazu ermuntert, ein Kinderbuch zu schreiben. Das Ergebnis war das berühmteste deutsche Kinderbuch des 20. Jahrhunderts: »Emil und die Detektive«. Im Oktober 1929 erschien Kästners erster Kinderroman mit Illustrationen von Walter Trier. Nach einem halben Jahr war die Erstauflage mit 10 000 Stück verkauft, bald erschienen auch erste Übersetzungen. Mit Emil schuf Kästner eine Identifikationsfigur inmitten der modernen großstädtischen Lebenswelt und traf mit dem prägnant-pointierten Stil den Ton der Kinder. 1930 kamen noch zwei Bilderbücher mit Versen von Kästner und Zeichnungen von Walter Trier auf den Markt, die allerdings nicht an den Erfolg des Erstlings anknüpfen konnten. 1931 geriet das Kinderbuch »Pünktchen und Anton« wiederum zu einem Bestseller. Den Erfolg mit seinen Kinderbüchern erklärte Kästner später damit, dass er »in unzerstörtem und unzerstörbarem Kontakt mit seiner eigenen Kindheit« stehe.Kästner nutzte neben den herkömmlichen Medien auch früh die neuen Massenmedien Hörfunk und Film und verwertete dafür seine Texte oft mehrfach. So verwendete er seine Gedichte Ende 1929 für die Hörfunkrevue »Leben in dieser Zeit«, eine »Lyrische Suite in drei Sätzen«; die 17 Gedichte hatte Edmund Nick vertont. 1931 gestaltete er die Revue zu einem Bühnenstück um. War 1927 sein Projekt eines Märchenfilms noch gescheitert, so verkaufte er 1930 die Filmrechte für seinen Kinderbucherstling an die deutsche Filmgesellschaft Ufa. Er wirkte an dem Drehbuchmanuskript mit, war aber über die Änderungen des Koautors Billy Wilder und das Endprodukt des Regisseurs Gerhard Lamprecht nicht sehr glücklich. Gleichwohl wurde der Film 1931 ein großer Erfolg. Auch als Theaterstück kam »Emil und die Detektive« beim Publikum bestens an. Die Vergabe der Film- und Bühnenrechte brachte Kästner zunächst auch die meisten Einkünfte für seinen Kinderbucherstling ein.Obendrein schrieb Kästner 1930/31 seinen ersten Roman: »Fabian. Die Geschichte eines Moralisten«. Der satirische Roman handelt vom Werteverfall in der deutschen Hauptstadt zur Zeit der Weltwirtschaftskrise und vom scheinbaren Sinnverlust des moralischen Handelns angesichts der allgemeinen Zerrüttung. Wegen der wirklichkeitsnahen Darstellung des zeitbezogenen Themas, der schnellen Szenenwechsel und des lakonischen Sprachstils rechnete man »Fabian« zur Neuen Sachlichkeit. Allerdings betonte Kästner den satirischen Charakter des Romans: dass er nicht die Wirklichkeit abbilden, sondern um der Wirkung willen übertreiben wollte; und er bemerkte, dass er mit dem Roman vor dem Abgrund warnen wollte, auf den sich Deutschland und die Welt zubewegten.Der Roman erschien im Oktober 1931. Schon nach einem Monat war die Startauflage von 10 000 Exemplaren verkauft. Freilich wurde auch Kritik laut wegen des scheinbaren Nihilismus oder der Obszönität.Kalamitäten während der nationalsozialistischen DiktaturNach der Machtergreifung der Nationalsozialisten Anfang 1933 verließen viele demokratische, linksradikale, zumal jüdische Künstler und Schriftsteller Deutschland, um der drohenden Bedrängnis, Verhaftung oder Verfolgung vorzubeugen. Kästner war entschlossen, in Deutschland zu bleiben, um als Schriftsteller das Schicksal seines Volkes mitzuerleben. Auch die Verbundenheit mit seiner Mutter hat bei seinem Entschluss mitgespielt. Dass die wahre Vaterschaft ein Familiengeheimnis war, dürfte Kästner das Leben gerettet haben, da sein vermutlicher leiblicher Vater Emil Zimmermann Jude war. Allerdings war Kästner als linksdemokratischer, sozialkritischer Publizist und Pazifist durchaus Gefahren ausgesetzt.Am 10. Mai 1933 war Kästner Augenzeuge der Bücherverbrennung, bei der Nationalsozialisten das »zersetzende Schrifttum« von marxistischen, pazifistischen und jüdischen Autoren ins Feuer warfen, u. a. von Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky und — Erich Kästner. Zweimal wurde Kästner von der Gestapo verhaftet, im Dezember 1933 und im Mai 1937, kam aber glimpflich davon. Zweimal wurde er gemustert und wegen seines Herzleidens zurückgestellt. Ansonsten blieb er weitgehend unbehelligt. Allerdings blieb er als Satiriker und Kritiker auch ruhig, ohne doch seine politischen Anschauungen und moralischen Überzeugungen preiszugeben oder gar der nationalsozialistischen Ideologie anzupassen.Nachdem Kästners verfemte Bücher nicht mehr verkauft werden durften und die Zeitungen und Zeitschriften, für die er geschrieben hatte, gleichgeschaltet oder verboten waren, war er gezwungen, nur noch unverfängliche Bücher zu veröffentlichen. Ende 1933 erschien das Kinderbuch »Das fliegende Klassenzimmer«, das wiederum ein Verkaufsschlager wurde; 1934 folgte die unterhaltsame Erzählung »Drei Männer im Schnee«, die nach dem Publikationsverbot seiner Schriften erstmals in einem Züricher Verlag herauskam. Mit der Fortsetzung des Kinderromans »Emil und die drei Zwillinge« konnte Kästner 1935 nicht an den Erfolg seines Erstlings anknüpfen. 1936 brachte Kästner den Gedichtband »Doktor Kästners lyrische Hausapotheke« mit einer Auswahl bereits veröffentlichter unpolitischer Gedichte heraus sowie die amüsante Detektivgeschichte »Die verschwundene Miniatur«. Mit solchen harmlos unterhaltenden Büchern versuchte Kästner sich den Anstrich eines unpolitischen Schriftstellers zu geben, um Mitglied der Reichsschrifttumkammer zu werden und damit die Publikationserlaubnis in Deutschland zu erhalten — doch ohne Erfolg.Unter Pseudonymen schrieb Kästner ab 1933 fünf Lustspiele: »Das lebenslängliche Kind«, »Frau nach Maß« (beide 1934), »Verwandte sind auch Menschen« (1937), »Das goldene Dach« (1939) und »Seine Majestät Gustav Krause« (1940). Mehrere dieser Bühnenstücke wurden zu Drehbüchern umgearbeitet; von den Filmen wurde vor allem »Frau nach Maß« (1940) unter Regie von Helmut Käutner ein Erfolg. 1941 wurde Kästner mit offizieller Sondergenehmigung für den Jubiläumsfilm zum 25-jährigen Bestehen der Ufa als Drehbuchautor unter dem Pseudonym Berthold Bürger engagiert. Er bearbeitete den Münchhausenstoff für den Prunkfilm unter Regie von Josef von Baky und mit Hans Albers in der Hauptrolle. Nachdem Kästner 1942 an mehreren Filmprojekten mitgewirkt hatte, wurde Anfang 1943 seine Sondergenehmigung widerrufen. Bis 1945 schrieb Kästner an mehreren Bühnenstücken, von denen er nur das Konversationsstück »Zu treuen Händen« (1948 uraufgeführt) vollendete.Nachdem im Januar 1944 seine Wohnung zerbombt worden war, zog er bei der Journalistin Luiselotte Enderle ein. Er hatte sie 1926 als Volontärin kennen gelernt; sie wurde Kästners Lebensgefährtin und Biografin. Das Kriegsende erlebte Kästner mit einem Filmteam der Ufa in Tirol, das ein angebliches Filmprojekt nutzte, um Berlin zu verlassen.Wiederaufbau in der NachkriegszeitNach dem Kriegsende kam Kästner im Mai 1945 nach München, wo er viele Schriftsteller, Schauspieler, Theater- und Filmleute traf. Alsbald wurden Projekte geplant; Kästner war als Drehbuchautor, Kabaretttexter und Redakteur gefragt. Doch er verbrachte zunächst mehrere Monate in Schliersee, bevor er sich zum Neuanfang in München entschließen konnte. Als die amerikanische Militärregierung im Oktober in München »Die Neue Zeitung« gründete, wurde Kästner deren Feuilletonchef. Er blieb es bis März 1946 und wirkte dann bis März 1948 als freier Journalist an dem Blatt mit.Kästner trat als entschiedener Moralist auf mit dem Ziel, die Deutschen aufzuklären, zur Vernunft und zum Frieden aufzurufen. In den Beiträgen der »Neuen Zeitung« widmete er sich neben kulturellen verstärkt tagespolitischen Themen, und immer wieder äußerte er sich zum Problem der individuellen und kollektiven Schuld am Nationalsozialismus. Sich selbst sah er als Opfer des Nationalsozialismus; eine kollektive Schuld der Deutschen wies er zurück. Am ersten deutschen Kabarett der Nachkriegszeit »Die Schaubude« wirkte Kästner als Texter mit. In seinen Chansons und Sketchen gelang es ihm, die Alltagsnöte der Nachkriegszeit wirksam zum Ausdruck zu bringen. 1948 veröffentlichte er seine tagespolitischen Texte unter dem Titel »Der tägliche Kram. Chansons und Prosa 1945—1948«.Von Anfang 1946 bis 1948 gab Kästner die Jugendzeitschrift »Pinguin« heraus und hielt mit seinen pädagogischen Leitartikeln die Jugend zur charakterlichen Bildung an, um eine bessere soziale, politische und moralische Ordnung in Deutschland aufzubauen. Literarische Publikationen standen zunächst zurück. 1946 erschien die Gedichtsammlung »Bei Durchsicht meiner Bücher«, die als Auswahl seiner frühen Gedichtbände nun wieder politische und kritische Lyrik enthielt. 1948 folgte die Epigrammsammlung »Kurz und bündig«, die außer prägnanten Lebensweisheiten und moralischen Lehrsätzen auch banale Gelegenheitsverse brachte.Anfang 1946 bezog Kästner mit seiner Lebensgefährtin Luiselotte Enderle eine möblierte Wohnung und konnte sich immerhin eine Haushälterin leisten. 1949 lernte er die 23-jährige Schauspielerin Friedel Siebert kennen. Sie blieb 20 Jahre lang seine Geliebte. Ende 1957 brachte sie ihren gemeinsamen Sohn Thomas zur Welt. Wenig später starb Kästners Vater.Wiederaufstieg des Schriftstellers1949 kehrte Kästner als Kinderbuchautor gleich mit zwei Werken zurück. Mit seinem Kinderroman »Das doppelte Lottchen« gelang Kästner wieder ein großer Erfolg, zu dem auch die mehrfach ausgezeichnete Verfilmung des Regisseurs Josef von Baky beitrug. Behandelte Kästner hierin die psychischen Konflikte der Zwillingsschwestern Lotte und Luise im Spannungsverhältnis ihrer getrennten Eltern, so beschrieb er in der Tierparabel »Konferenz der Tiere« den Kampf der Tiere für eine humane Politik, besonders für das Recht der Kinder auf eine Welt ohne Grenzen und Krieg sowie auf die bestmögliche Erziehung. Es zeichnet Kästners Kinderbücher aus, dass sie keine heile Welt vorgaukeln, Probleme und Konflikte nicht ausblenden und dass in der Regel die Kinder selbst die Probleme und Konflikte, die ihnen die Unvernunft der Erwachsenen verschafft, durch ihre eigene Klugheit glücklich lösen.1949 übernahm Kästner mit Johannes R. Becher das Präsidium des Deutschen P.E.N-Zentrums. Nachdem es 1950 zu Streitigkeiten und 1951 zur Ost-West-Spaltung gekommen war, war Kästner von 1951 bis 1962 Präsident des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik; 1965 wurde er zum Ehrenpräsidenten ernannt. Kästner war in den 1950er-Jahren zwar so beliebt, dass er bei seinen Lesungen leicht die Säle füllte, aber geschätzt war er doch vor allem wegen seiner älteren Kinderbücher und unterhaltsamen Werke. In vielen seiner Reden und Vorträge behandelte er denn auch besonders die Kinder- und Jugendliteratur, betonte den Wert guter Lektüre oder beklagte den Verlust moralischer Tugenden als Gefahr für die Jugend. Auch außerhalb des Literaturbetriebs engagierte er sich für Pazifismus und protestierte zumal gegen die Atomrüstung. 1956 erhielt Kästner den Literaturpreis der Stadt München, 1957 den Georg-Büchner-Preis, 1959 das Große Bundesverdienstkreuz. Weitere Preise und Ehrungen folgten.Ab 1950 brachte Kästner mehrere Bearbeitungen volkstümlicher Erzählungen heraus: »Der gestiefelte Kater« (1950), »Münchhausen« (1951), »Die Schildbürger« (1954), »Don Quichotte« (1956) und »Gullivers Reisen« (1961). Anfang 1951 präsentierte das Kabarett »Die kleine Freiheit« sein erstes Programm mit Texten u. a. von Kästner. Der kämpferische Optimismus war inzwischen eher einem verbittertem Sarkasmus gewichen. Als das Kabarett nur noch unterhaltsame Revuen bot, beendete Kästner seine Mitarbeit. Die Texte sind enthalten in dem Sammelband »Die kleine Freiheit. Chansons und Prosa 1949—1952«. 1955 veröffentlichte Kästner seine letzte kleine Gedichtsammlung »Die dreizehn Monate«. In den heiteren Gedichten von der selbstgenügsamen Natur scheinen immer wieder Bilder von der unabwendbaren Vergänglichkeit durch.Die erfolgreichen Verfilmungen seiner Kinderbücher und unterhaltsamen Werke steigerten Kästners Popularität. Außer für »Pünktchen und Anton« (1953) schrieb Kästner die Drehbücher selbst: »Das doppelte Lottchen« (1950), »Die verschwundene Miniatur« (1954), »Das fliegende Klassenzimmer« (1954), »Drei Männer im Schnee« (1955) und »Salzburger Geschichten« (1956, nach »Der kleine Grenzverkehr«). Kästners sozialkritische und satirische Werke wurden bezeichnenderweise erst ab Ende der 1960er-Jahre verfilmt, so »Die Konferenz der Tiere« (1969) und »Fabian« (1980).Rückzug und Krankheit1956 veröffentlichte Kästner das Theaterstück »Die Schule der Diktatoren«, das 1957 von Hans Schweikart in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde. Der Plan zu der grotesken »Komödie« stammt aus der Zeit nach Hitlers Machtergreifung. Es war Kästners erstes und letztes Bühnenstück, das unter seinem eigenen Namen erschien. Er hielt es zwar für sein wichtigstes Werk nach dem Krieg, aber der Erfolg blieb ihm versagt.Nachdem seine Mutter 1951 gestorben war, war Kästner frei genug, um seine Kindheitserinnerungen niederzuschreiben. 1957 veröffentlichte er sie als Kinderbuch »Als ich ein kleiner Junge war«. Das Buch gibt einerseits einen Einblick in das Alltagsleben und die Denkweisen der Kleinbürger in der Spätzeit des Wilhelminischen Zeitalters; andererseits kommt in ihm zum Ausdruck, wie stark Kästners Werk von seinen Kindheitserlebnissen und sein Leben von seiner Mutter geprägt ist. Als ob sich mit diesen Memoiren sein Kontakt zur Kindheit gelockert hätte, verlor die Hauptfigur in seinen letzten beiden Kinderbüchern, Mäxchen Pichelsteiner in »Der kleine Mann« (1963) und in »Der kleine Mann und die kleine Miss« (1967), die typischen Tugenden seiner Vorgänger und verhielt sich eben wie ein kleiner Erwachsener. Als einziges Prosawerk für Erwachsene nach dem Krieg gab Kästner 1961 eine Überarbeitung seines Tagebuchs aus der Zeit um das Kriegsende unter dem Titel »Notabene 45« heraus. Im Vorwort gestand er, dass er vor seinem Plan, einen großen Roman über das Dritte Reich zu schreiben, kapituliert habe.Ende 1961 stellten Ärzte bei Kästner Tuberkulose fest. Er hielt sich mehrfach längere Zeit in einem Sanatorium am Luganer See auf, so von Januar 1962 bis Mai 1963 und von Januar bis August 1964 und im Frühjahr 1966. Allerdings hielt er sich nicht an die medizinischen Anweisungen: Er gab weder das Rauchen noch das Trinken auf, und sobald sich sein Befinden besserte, fing er wieder an zu arbeiten. Zwischenzeitlich wohnte Kästner bei seiner Geliebten und seinem Sohn, die nach Berlin gezogen waren. Nach seinem letzten Sanatoriumsaufenthalt kehrte er zu seiner Lebensgefährtin nach München zurück. 1969 löste Friedel Siebert ihre Beziehung mit Kästner.Anlässlich seines 70. Geburtstags unternahm Kästner mehrere Lesereisen im In- und Ausland. Eine Ausstellung des Goetheinstituts über sein Leben und Werk wurde in Europa, den USA und in Japan gezeigt. Danach zog er sich mehr und mehr zu Hause zurück und verharrte in Schweigen. Kurz nach seinem 75. Geburtstag verschlechterte sich sein Befinden. Kästner verzichtete auf eine Therapie des diagnostizierten Speiseröhrenkrebses. 5 Tage nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus starb Kästner am 29. Juli 1974. Seine sterblichen Überreste wurden am 5. August auf dem Friedhof St. Georg in München-Bogenhausen beigesetzt.Helga Bemmann: Erich Kästner. Leben und Werk. Taschenbuchausgabe Berlin 1998.Franz Josef Görtz und Hans Sarkowicz: Erich Kästner. Eine Biographie. München 31999.Sven Hanuschek: Keiner blickt dir hinter das Gesicht. Das Leben Erich Kästners. München 1999.Isa Schikorsky: Erich Kästner. München 31999.»Die Zeit fährt Auto«. Erich Kästner zum 100. Geburtstag, herausgegeben von Manfred Wegner. Ausstellungskatalog Deutsches Historisches Museum, Berlin, u. a. Berlin 1999.
Universal-Lexikon. 2012.